EuGH–Gutachterin fordert Unisex–Versicherungsverträge

30. September 2010 Aus Von Linda

Die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen in vielen Versicherungsverträgen könnte gegen EU-Recht verstoßen. Nach einem am Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegten Rechtsgutachten soll das Geschlecht nur noch dann berücksichtigt werden dürfen, wenn dies auf „eindeutig nachweisbare biologische Unterschiede“ zurückgeht. Die höhere Lebenserwartung der Frauen gehöre dazu nicht.

Die deutschen Versicherer werteten das EuGH-Gutachten als „Angriff auf die Grundprinzipien der Versicherungswirtschaft“. Folge der EuGH dem Gutachten, „wäre das eine schlechte Nachricht für die Verbraucher“, sagte Peter Schwark, Geschäftsführer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), der Nachrichtenagentur AFP. Die Beiträge würden im Durchschnitt steigen, weil der Geschlechtermix als neues Risiko in die Kalkulation eingehe. Die „Beitragsgerechtigkeit“ gehe verloren.

Der EuGH wird abschließend in einigen Monaten entscheiden. Er ist dabei nicht an das Gutachten gebunden, folgt dem aber in den allermeisten Fällen.

Die Gleichbehandlung von Männern und Frauen gehört zu den wichtigsten Grundsätzen des EU-Rechts. Für die Versicherungswirtschaft gibt es aber eine Ausnahmeklausel, wenn sich nach Geschlecht unterschiedliche Risiken durch versicherungsmathematische und statistische Daten gesichert belegen lassen. Danach zahlen Frauen wegen ihrer höheren Lebenserwartung höhere Beiträge für eine Rentenversicherung, aber geringere für eine Kapitallebensversicherung. Auch in der Kfz-Versicherung zahlen Frauen weniger.

In Belgien gehen ein Verbraucherverband und Privatpersonen gegen die auf der EU-Ausnahmeklausel beruhenden Regelungen vor. In dem Streit erklärte nun die Generalanwältin beim EuGH, Juliane Kokott, die Ausnahmeregelung verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter. Eine Ungleichbehandlung sei nur gerechtfertigt, wenn sie sich aus klaren biologischen Unterschieden ergebe, etwa das „Risiko“ einer Schwangerschaft in der privaten Krankenversicherung.

Versicherungsrisiken, die sich „allenfalls statistisch mit dem Geschlecht in Verbindung bringen lassen“, sollen nach Ansicht Kokotts dagegen keinen Einfluss mehr auf Beiträge und Leistungen einer Versicherung haben dürfen. So sei etwa die Lebenserwartung stark auch von anderen Faktoren beeinflusst, etwa der Berufstätigkeit, Ernährung, Sport sowie Alkohol- und Drogenkonsum. Das Geschlecht sei dauerhaft und „untrennbar mit der Person verbunden“, betonte Kokott. Die Grenzen einer Ungleichbehandlung seien daher besonders eng zu ziehen.